Gewalt in der Schule
Hier soll es nicht um körperliche Gewalt gehen; die spielt ja in der Beziehung zwischen SchülerInnen und LehrerInnen heutzutage zum Glück gar keine Rolle mehr. Es gibt aber eine andere Art von Gewalt, die leider nicht nur alltäglich ist, sondern auch Teil dessen, was als gesellschaftlich akzeptabel oder gar erwünscht gilt.
Grob gesagt kann alles als Gewalt bezeichnet werden, was die Würde und die Integrität einer Person verletzt. Das beinhaltet viele Kommunikationsweisen, die im Alltag, besonders aber im schulischen, omnipräsent sind. Es gehört ja zum Repertoire einer Lehrperson, SchülerInnen wegen allen möglichen Kleinigkeiten möglichst runterzuputzen, und dabei wird zum Teil sehr tief in die unterste Schublade gegriffen.
Einige Tage nach dem Vortrag von Jesper Juul war ich bei einem anderen, von einer schwedischen Dame, die als Lehrerin die gewaltfreie Kommunikation von Marshall Rosenberg (und ihn persönlich) kennengelernt und nach einigen Jahren, in denen sie selbige im Unterricht eingesetzt hat, eine gewaltfreie Schule mitgegründet hat. Der Vortrag war spannend, witzig und sehr inspirierend, obwohl sie selbst sagt, im Regelschulsystem ist gfK leider wirklich nicht einfach anzuwenden.
GfK soll hier auch nicht das Thema sein, wer sich dafür interessiert, findet im Netz genügend bessere Quellen. Hier geht es stattdessen um eine persönliche Erfahrung, die ich zwischen den beiden Vorträgen in der Schule machen musste (und zwar wirklich musste, weil die Anwesenheit verpflichtend war): wir hatten nämlich eine Disziplinarkonferenz. Ich habe so etwas zum ersten Mal erlebt, und vermutlich geht es auch ganz anders. Ich würde mir wünschen, dass es auch Schulen gibt, wo so etwas menschlicher abläuft, befürchte aber, dass eher noch das andere Extrem die Regel ist.
Es ging um zwei Schüler, die ich davor nie bewusst wahrgenommen, geschweige denn unterrichtet habe. Sie haben zweifelsohne etwas sehr Dummes angestellt und hatten Glück, dass ein Lehrer die Polizei davon abhalten konnte, tätig zu werden. So gesehen sind sie ja quasi ohne Konsequenzen davongekommen, und das hat offenbar nicht sein dürfen, also kratze die Schule all ihre Möglichkeiten zusammen, um sie im Endeffekt doch noch einmal ohne allzu konkrete Konsequenzen davonkommen zu lassen.
Soweit so gut, Schulen haben offenbar nicht wirklich irgendwelche Mittel, SchülerInnen zu bestrafen (was ja in meinen Augen gut ist, aber die breite Öffentlichkeit würde sich eher das Gegenteil wünschen). Was aber Schulen, sprich DirektorInnen und LehrerInnen besonders gut können, ist das oben beschriebene Erniedrigen, das sie in langen Dienstjahren zur Perfektion trainiert haben, und das ich selbst im erwähnten Fall nicht angebracht fand.
Wenn ich meine diesbezüglichen Gedanken artikuliere, kommt immer die Gegenfrage: "Wie hätte man das Problem sonst lösen sollen?". Nun ja, die Frage scheint berechtigt, führt aber am Kern des wirklichen Problems vorbei. Erstens hat man das "Problem" so nicht gelöst. Das Unrecht wurde nicht wieder gutgemacht, das Unrechtsbewusstsein der beiden Schüler nach Ansicht der meisten Anwesenden nicht aktiviert, ja nicht einmal die "Strafe" hat wirklich strafenden Charakter. Es waren die Einschüchterungsversuche eines zahnlosen Löwen, der weiß, dass er harmlos ist, und deswegen auf Erniedrigung setzt.
Das eigentliche Problem ist, dass es offiziell keinen anderen Weg zu geben scheint, mit solchen Situationen umzugehen. Dabei zeigen sowohl Jesper Juul als auch die gewaltfreie Kommunikation Wege auf, und es gibt vermutlich noch genug andere. Wir bilden Peer-Mediatoren aus, können aber als angeblich reife, jedenfalls studierte Erwachsene selbst nicht viel anders mit Konflikten umgehen, als es unsere eigenen LehrerInnen vor Jahrzehnten getan haben. Und vermutlich wäre mir die Würdelosigkeit der besagten Konferenz nicht einmal aufgefallen, wenn ich nicht gerade durch meine persönliche Geschichte diesbezüglich sensibilisiert gewesen wäre.
Natürlich nützt es wenig (und schaut nach außen auch mehr als komisch aus), wenn nur in einer Krisensituation auf "Kuschelpädagogik" gesetzt und Konflikte gelöst werden, während es die restliche Zeit immer nach dem selben Muster an Belohnung und Erniedrigung abläuft. Wünschenswert wäre vielmehr eine generelle Änderung der Schulkultur, wie schon im vorigen Post beschrieben: weg von Macht und Kontrolle, hin zu Gleichwürdigkeit, Vertrauen und Respekt. Das ist keine Garantie, dass keine Vorfälle passieren, die ein Eingreifen notwendig machen, aber es gibt sehr gute Gründe dafür, es trotzdem zu versuchen:
- Wenn ein Mensch eine Befindlichkeit in einer von seiner Umwelt als unerwünscht betrachteten Verhaltensweise äußert und dafür bestraft wird, verschwindet dadurch vielleicht (vielleicht!) die Verhaltensweise, aber nicht seine Befindlichkeit. Sie wird andere Mittel und Wege finden, an die Oberfläche zu gelangen. Das erklärt den klassischen Teufelskreis nach unten, den sogenannte "Problemschüler" oft durchmachen. Durch Strafen ist noch keiner geläutert worden, aber manche bekommen zum Glück außerhalb des Systems, zB. in der Gestalt einer netten Lehrperson oder sonst irgendeines Erwachsenen, die Zuwendung, die ihnen hilft, sich selbst über ihre destruktiven Verhaltensweisen hinwegzusetzen. Das sollte die Norm sein, nicht die Ausnahme.
- "Gewalt erzeugt Gegengewalt", sangen schon die Ärzte. Das gilt auch und ganz besonders für verbale Gewalt. Die meisten, die Gewalt erfahren, üben als Reaktion darauf selbst Gewalt aus: an ihrer Familie, an Freunden oder Klassenkameraden, viele auch an sich selbst. Das kann man nicht vollständig unterbinden, aber ich halte es für eine Schande, dass diese Gewaltspirale so oft von LehrerInnen gestartet wird.
- Kinder lernen nicht in erster Linie daraus, was wir ihnen sagen, sondern wie wir selbst handeln. Diese einfache Erkenntnis ist leider den meisten Pädagogen nicht geläufig, und die Konsequenzen daraus sehen wir täglich. Es entbehrt nicht einer gewissen grotesken Ironie, dass die Begründung dafür, die Schüler bei der erwähnten Konferenz zu erniedrigen und zu "bestrafen", darin bestand, §2 des Schulorganisationsgesetzes* zu zitieren. Ich wage zu behaupten, dass sie dadurch nicht in ihren sittlichen und sozialen Werten bestärkt worden sind.
- Schule funktioniert immer weniger, obwohl immer mehr daran herumgeschraubt wird. Die übliche Haltung aller Akteure ist: "Ich versuche ja eh, nett zu sein, aber ich werde früher oder später dazu gezwungen, Gewalt auszuüben." - eine Haltung, die, wie Juul sagt, für das Misslingen der Beziehung verantwortlich ist. Jemand muss die Verantwortung für das Schulklima übernehmen, und das dürfen nicht die Kinder sein.
Schulen MÜSSEN beginnen, gewaltfrei zu werden. Das ist die einzige Möglichkeit, über kurz oder lang eine gewaltfreie Gesellschaft zu erschaffen. All jenen, die dem widersprechen, gilt mein Mitgefühl für all die Gewalt, die sie in ihrem Leben erleiden mussten - es ist allerdings definitiv keine Lösung, sie immer weiterzureichen.
* §2 (1) "Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden Unterricht mitzuwirken. Sie hat die Jugend mit dem für das Leben und den künftigen Beruf erforderlichen Wissen und Können auszustatten und zum selbsttätigen Bildungserwerb zu erziehen.
Die jungen Menschen sollen zu gesunden, arbeitstüchtigen, pflichttreuen und verantwortungsbewußten Gliedern der Gesellschaft und Bürgern der demokratischen und bundesstaatlichen Republik Österreich herangebildet werden. Sie sollen zu selbständigem Urteil und sozialem Verständnis geführt, dem politischen und weltanschaulichen Denken anderer aufgeschlossen sowie befähigt werden, am Wirtschafts- und Kulturleben Österreichs, Europas und der Welt Anteil zu nehmen und in Freiheits- und Friedensliebe an den gemeinsamen Aufgaben der Menschheit mitzuwirken."
Grob gesagt kann alles als Gewalt bezeichnet werden, was die Würde und die Integrität einer Person verletzt. Das beinhaltet viele Kommunikationsweisen, die im Alltag, besonders aber im schulischen, omnipräsent sind. Es gehört ja zum Repertoire einer Lehrperson, SchülerInnen wegen allen möglichen Kleinigkeiten möglichst runterzuputzen, und dabei wird zum Teil sehr tief in die unterste Schublade gegriffen.
Einige Tage nach dem Vortrag von Jesper Juul war ich bei einem anderen, von einer schwedischen Dame, die als Lehrerin die gewaltfreie Kommunikation von Marshall Rosenberg (und ihn persönlich) kennengelernt und nach einigen Jahren, in denen sie selbige im Unterricht eingesetzt hat, eine gewaltfreie Schule mitgegründet hat. Der Vortrag war spannend, witzig und sehr inspirierend, obwohl sie selbst sagt, im Regelschulsystem ist gfK leider wirklich nicht einfach anzuwenden.
GfK soll hier auch nicht das Thema sein, wer sich dafür interessiert, findet im Netz genügend bessere Quellen. Hier geht es stattdessen um eine persönliche Erfahrung, die ich zwischen den beiden Vorträgen in der Schule machen musste (und zwar wirklich musste, weil die Anwesenheit verpflichtend war): wir hatten nämlich eine Disziplinarkonferenz. Ich habe so etwas zum ersten Mal erlebt, und vermutlich geht es auch ganz anders. Ich würde mir wünschen, dass es auch Schulen gibt, wo so etwas menschlicher abläuft, befürchte aber, dass eher noch das andere Extrem die Regel ist.
Es ging um zwei Schüler, die ich davor nie bewusst wahrgenommen, geschweige denn unterrichtet habe. Sie haben zweifelsohne etwas sehr Dummes angestellt und hatten Glück, dass ein Lehrer die Polizei davon abhalten konnte, tätig zu werden. So gesehen sind sie ja quasi ohne Konsequenzen davongekommen, und das hat offenbar nicht sein dürfen, also kratze die Schule all ihre Möglichkeiten zusammen, um sie im Endeffekt doch noch einmal ohne allzu konkrete Konsequenzen davonkommen zu lassen.
Soweit so gut, Schulen haben offenbar nicht wirklich irgendwelche Mittel, SchülerInnen zu bestrafen (was ja in meinen Augen gut ist, aber die breite Öffentlichkeit würde sich eher das Gegenteil wünschen). Was aber Schulen, sprich DirektorInnen und LehrerInnen besonders gut können, ist das oben beschriebene Erniedrigen, das sie in langen Dienstjahren zur Perfektion trainiert haben, und das ich selbst im erwähnten Fall nicht angebracht fand.
Wenn ich meine diesbezüglichen Gedanken artikuliere, kommt immer die Gegenfrage: "Wie hätte man das Problem sonst lösen sollen?". Nun ja, die Frage scheint berechtigt, führt aber am Kern des wirklichen Problems vorbei. Erstens hat man das "Problem" so nicht gelöst. Das Unrecht wurde nicht wieder gutgemacht, das Unrechtsbewusstsein der beiden Schüler nach Ansicht der meisten Anwesenden nicht aktiviert, ja nicht einmal die "Strafe" hat wirklich strafenden Charakter. Es waren die Einschüchterungsversuche eines zahnlosen Löwen, der weiß, dass er harmlos ist, und deswegen auf Erniedrigung setzt.
Das eigentliche Problem ist, dass es offiziell keinen anderen Weg zu geben scheint, mit solchen Situationen umzugehen. Dabei zeigen sowohl Jesper Juul als auch die gewaltfreie Kommunikation Wege auf, und es gibt vermutlich noch genug andere. Wir bilden Peer-Mediatoren aus, können aber als angeblich reife, jedenfalls studierte Erwachsene selbst nicht viel anders mit Konflikten umgehen, als es unsere eigenen LehrerInnen vor Jahrzehnten getan haben. Und vermutlich wäre mir die Würdelosigkeit der besagten Konferenz nicht einmal aufgefallen, wenn ich nicht gerade durch meine persönliche Geschichte diesbezüglich sensibilisiert gewesen wäre.
Natürlich nützt es wenig (und schaut nach außen auch mehr als komisch aus), wenn nur in einer Krisensituation auf "Kuschelpädagogik" gesetzt und Konflikte gelöst werden, während es die restliche Zeit immer nach dem selben Muster an Belohnung und Erniedrigung abläuft. Wünschenswert wäre vielmehr eine generelle Änderung der Schulkultur, wie schon im vorigen Post beschrieben: weg von Macht und Kontrolle, hin zu Gleichwürdigkeit, Vertrauen und Respekt. Das ist keine Garantie, dass keine Vorfälle passieren, die ein Eingreifen notwendig machen, aber es gibt sehr gute Gründe dafür, es trotzdem zu versuchen:
- Wenn ein Mensch eine Befindlichkeit in einer von seiner Umwelt als unerwünscht betrachteten Verhaltensweise äußert und dafür bestraft wird, verschwindet dadurch vielleicht (vielleicht!) die Verhaltensweise, aber nicht seine Befindlichkeit. Sie wird andere Mittel und Wege finden, an die Oberfläche zu gelangen. Das erklärt den klassischen Teufelskreis nach unten, den sogenannte "Problemschüler" oft durchmachen. Durch Strafen ist noch keiner geläutert worden, aber manche bekommen zum Glück außerhalb des Systems, zB. in der Gestalt einer netten Lehrperson oder sonst irgendeines Erwachsenen, die Zuwendung, die ihnen hilft, sich selbst über ihre destruktiven Verhaltensweisen hinwegzusetzen. Das sollte die Norm sein, nicht die Ausnahme.
- "Gewalt erzeugt Gegengewalt", sangen schon die Ärzte. Das gilt auch und ganz besonders für verbale Gewalt. Die meisten, die Gewalt erfahren, üben als Reaktion darauf selbst Gewalt aus: an ihrer Familie, an Freunden oder Klassenkameraden, viele auch an sich selbst. Das kann man nicht vollständig unterbinden, aber ich halte es für eine Schande, dass diese Gewaltspirale so oft von LehrerInnen gestartet wird.
- Kinder lernen nicht in erster Linie daraus, was wir ihnen sagen, sondern wie wir selbst handeln. Diese einfache Erkenntnis ist leider den meisten Pädagogen nicht geläufig, und die Konsequenzen daraus sehen wir täglich. Es entbehrt nicht einer gewissen grotesken Ironie, dass die Begründung dafür, die Schüler bei der erwähnten Konferenz zu erniedrigen und zu "bestrafen", darin bestand, §2 des Schulorganisationsgesetzes* zu zitieren. Ich wage zu behaupten, dass sie dadurch nicht in ihren sittlichen und sozialen Werten bestärkt worden sind.
- Schule funktioniert immer weniger, obwohl immer mehr daran herumgeschraubt wird. Die übliche Haltung aller Akteure ist: "Ich versuche ja eh, nett zu sein, aber ich werde früher oder später dazu gezwungen, Gewalt auszuüben." - eine Haltung, die, wie Juul sagt, für das Misslingen der Beziehung verantwortlich ist. Jemand muss die Verantwortung für das Schulklima übernehmen, und das dürfen nicht die Kinder sein.
Schulen MÜSSEN beginnen, gewaltfrei zu werden. Das ist die einzige Möglichkeit, über kurz oder lang eine gewaltfreie Gesellschaft zu erschaffen. All jenen, die dem widersprechen, gilt mein Mitgefühl für all die Gewalt, die sie in ihrem Leben erleiden mussten - es ist allerdings definitiv keine Lösung, sie immer weiterzureichen.
* §2 (1) "Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden Unterricht mitzuwirken. Sie hat die Jugend mit dem für das Leben und den künftigen Beruf erforderlichen Wissen und Können auszustatten und zum selbsttätigen Bildungserwerb zu erziehen.
Die jungen Menschen sollen zu gesunden, arbeitstüchtigen, pflichttreuen und verantwortungsbewußten Gliedern der Gesellschaft und Bürgern der demokratischen und bundesstaatlichen Republik Österreich herangebildet werden. Sie sollen zu selbständigem Urteil und sozialem Verständnis geführt, dem politischen und weltanschaulichen Denken anderer aufgeschlossen sowie befähigt werden, am Wirtschafts- und Kulturleben Österreichs, Europas und der Welt Anteil zu nehmen und in Freiheits- und Friedensliebe an den gemeinsamen Aufgaben der Menschheit mitzuwirken."
Schulfrei - 28. Okt, 13:38